Kopfschock

„Assassin‘s Creed auf Speed!“ Dieser kurze Satz beschreibt ziemlich treffend, wie man sich beim Spielen von inFAMOUS2 fühlt. Es könnte aber auch heissen: „Assassin’s Creed auf Weed“. Um gleich bei den Betäubungsmittel-Analogien zu bleiben. Die Steuerung ist teilweise so verbockt, dass ich mich wirklich wie bekifft gefühlt habe, als ich zum zweihundertsten Mal versucht habe, eine Stange an einer Hausmauer beim ersten Anlauf zu treffen.

Aber beginnen wir doch am besten am Anfang: Als ich im Januar 2011 meine regelmässig stattfindende Spiele-Planungssitzung mit meinem Alter Ego hatte, habe ich das erste Mal inFAMOUS2 in die engere Wahl der zu spielenden Titel genommen. Bis dahin hatte ich den Eindruck, das wird einfach ein weiteres Sequel zu einem eigentlich guten, aber doch nicht überragenden, ersten Spiel, das seine besten Zeiten schon gesehen hat. Ich kann euch auch nicht mehr sagen was es war, das mich inFAMOUS2 plötzlich in einem interessanteren Licht betrachten ließ, aber meine Einstellung wechselte vom einen Moment auf den Anderen von grundsätzlich skeptisch zu vorsichtig interessiert. Ich habe also im vergangenen halben Jahr regelmässig Infos zu dem Spiel eingeholt und versucht, mich so gut wie möglich fernzuhalten von hypenden Tendenzen und Spoilern etc. Ihr kennt das ja alle sicher nur zu gut.

Nun kam der Releasetag langsam aber sicher näher und ich war eigentlich gar nicht mehr scharf auf das Spiel. Kann damit zusammenhängen, dass Sony es im gleichen Zeitraum vor allem geschafft hat, sich mit Scheisse zu überhäufen und ich daher mehr auf der Xbox zuhause war, kann aber auch daran liegen, dass ich einfach zu viele andere Spiele auf dem Radar hatte die zeitnah erschienen sind und meine volle Aufmerksamkeit hatten. Etwa eine Woche nach Release kam dann mein Arbeitskollege zu mir und hat angefangen, mir von inFAMOUS2 vorzuschwärmen. Wie auf einem Schlag war alles, was ich in den letzten Monaten darüber gelesen, gehört und gesehen hatte, wieder da und ich wollte das Spiel unbedingt in meiner PS3 drehen hören. Da ich doch nicht so spontan zugreifen wollte und mich daher mit meinem Kollegen zu einem Spieletausch verabredet hatte, musste ich mich noch ein Wochenende gedulden. In diesen zwei Tagen hatte ich noch Zeit, den, dank PSN Welcome Back – Aktion, kostenlosen Vorgänger von inFAMOUS2 anzuspielen.

In inFAMOUS bewegt man sich in Empire City, einer fiktiven Stadt, die mehr oder weniger New York als Vorbild genommen hat. Eine Explosion vernichtet einen ganzen Stadtteil und verleiht gleichzeitig Cole MacGrath, unserem Protagonisten, übermenschliche Fähigkeiten, indem er von nun an die Elektrizität in der Stadt kontrollieren kann. Er bewegt sich also Blitze schleudernd und Häuser kletternd durch die Stadt und bekämpft das Unheil. Oder er entscheidet sich, selbst zum Unheil zu werden und braucht seine Superkräfte fortan nur noch für die „dunkle Seite der Macht“.

Leider war ich etwas enttäuscht. Zwei Dinge haben mich besonders genervt. Erstens: Ich konnte mich nicht durch die Stadt bewegen, ohne das ich sofort von allen Seiten her beschossen wurde und mich diese strunz dummen Standardgegner fertig machen wollten. Dies war so extrem lästig, dass es mir nach einigen Stunden gründlich die Lust verdorben hat, weiterzuspielen. Zweitens: Die dämlichen Untergrund-Levels, die nur dazu da waren, den Strom in einem bestimmten Stadtteil anzuschalten. Die waren so langweilig und immer mehr vom Gleichen, dass sie mich schnell zur Aufgabe gebracht haben. Nach circa vier Stunden Spielzeit des ersten Teils, bin ich also mit gemischten Gefühlen an inFAMOUS2 herangegangen und wurde von Anfang an positiv überrascht.

Die Grundstrukturen des Spiels hat Sucker Punch (Entwickler) beibehalten. Ich kann mich nach wie vor frei in einer großen Stadt bewegen, kann Blitze schleudern und andere coole Waffen-Gimmicks nach Lust und Laune ausprobieren. Ich kann mich entscheiden, ob ich auf der guten oder auf der bösen Seite kämpfen will. Die gute Seite ist in diesem Fall jene, welche den Einwohnern der Stadt hilft und sie unterstützt wo immer es möglich ist. Die böse Seite spricht die egoistische Ader im Menschen an, welche nur auf den eigenen Vorteil fixiert ist, die eigene Macht geniesst und ausgiebig auslebt, Kollateralschäden in Kauf nimmt und sie sogar beabsichtigt.

Zu Beginn des Spiels wird Cole einem Teil seiner Kräfte beraubt und die Stadt Empire City wird zerstört. Cole und seine Kameraden flüchten mit dem Schiff nach New Marais, einer Stadt im Süden die sich an New Orleans anlehnt und auch eine ähnliche Vorgeschichte hat wie das Original. Auch New Marais wurde vor einigen Jahren von einem grossen Sturm verwüstet und noch nicht wieder vollständig aufgebaut. Die Stadt hat sich seit damals in eine mehr oder weniger rechtsfreie Zone verwandelt, die von einer Gruppierung mit dem Namen „Miliz“ kontrolliert und tyrannisiert wird. Cole MacGrath versteht sich von Anfang an absolut nicht mit den Miliztypen, da sie ihm von der ersten Begegnung an ans Leder wollen. Die Entscheidung für den guten oder den bösen Weg hat übrigens keinen Einfluss auf die Einstellung der Miliz zu Cole. Die finden sich gegenseitig so oder so zum Kotzen.

Das Südstaatenflair von New Marais kommt gut rüber und die Straßen sind gefüllt mit Fußgängern und Autos. Die Bevölkerung der Stadt hätte ruhig noch etwas beteiligter wirken können und weniger gehirnamputiert. Auf der einen Seite ist es richtig cool zu sehen, wie die Einwohner von New Marais auf die Gesinnung von Cole reagieren. Auf der anderen Seite sind sie manchmal so blöd und verhalten sich so unrealistisch, wie es nur gehen kann. Zwei Beispiele dazu: Die Leute auf den Straßen beginnen irgendwann, die Miliz selber anzugreifen und mit Steinen zu bewerfen, wenn man den guten Weg eingeschlagen hat und genug Sympathiepunkte bei den Menschen auf dem Konto hat. Falls Cole der böse Egomane ist, bewerfen sie ihn selber mit allerhand Gegenständen. Warum sie allerdings neben den überall in der Stadt platzierten Bomben, die Cole entschärfen kann/darf/sollte, stehen bleiben, wenn diese anfangen zu ticken und nicht in Panik wegrennen, wird mir immer ein Rätsel bleiben. Auch der Rest der Stadt ist sehr gut gelungen und lädt zum Flanieren ein, so sind zum Beispiel viele Gebäude wie Kinos oder Nachtclubs aussen mit bunter Werbung tapeziert und das jeweilige Programm ist über dem Eingang angebracht. In den Kinos laufen dann beispielsweise Filme wie „ASSASSIN’S NEED (LOVE TOO)“ oder „HEY, LOW REACH“. Dies alles trägt sehr zur Stimmung des ganzen Spiels bei, bringt eine gewisse witzige Note ein und ist gut gelungen. Eigentlich fast schon schade, dass man sich zu einem Großteil des Spiels hauptsächlich über die Dächer und an den Hauswänden von New Marais bewegt und von all dem wenig bis gar nichts mitbekommt.

Auch wenn die Story teilweise etwas wirr ist und es ohne Vorkenntnisse aus dem ersten Teil manchmal arg schwierig ist, den Charakteren, die mit Begriffen aus dem ersten Teil um sich werfen, zu folgen, so ergibt sich meistens nach einiger Zeit eine Logik, die sich anfänglich noch versteckt hält. Die Story ist sogar erstaunlich gut wenn man sie mit anderen Sandbox-Spielen vergleicht. Die teilweise etwas lang geratenen Zwischensequenzen sind hauptsächlich dazu da, die Story voranzutreiben und auf die nächsten, wichtigen Entscheidungen vorzubereiten. So passiert es oft, dass nach einer solchen Sequenz die nächste Wahl in Richtung gut oder böse ansteht und dem Spieler in der Sequenz das Pro und Contra und die Ansichten von verschiedenen wichtigen NPC’s erläutert wird. Sucker Punch kriegt es hin, Witz und Dramatik in die Story und die Zwischensequenzen einzubauen. Auch wenn da noch Potential verschenkt wurde und noch viel mehr gepasst hätte. Ich werde nie die eine Szene vergessen, in der ich nach einer harten Mission zurück zu meinem besten Kumpel Zeke komme, der sich gerade einen Film reinzieht. Cole setzt sich einfach daneben, nimmt sich ein Bier uns stösst an mit Zeke. Ohne Worte, ohne Erklärungen, einfach nur Abhängen unter Kumpels nach einem harten Arbeitstag. Dann läutet das Handy von Cole er macht ein genervtes Gesicht und drückt den Anrufer weg. Kaum passiert, läutet das Handy von Zeke, bei ihm die gleiche Reaktion. Endlich alleine schauen die beiden wortlos den Film weiter bis sie beide einschlafen. Solche Szenen sind es, die mir bleiben. Dieses „profane“ Miteinander einer guten Männerfreundschaft, dieses Verstehen ohne Worte. Absolut genial. Diese Szene sagt mehr über die Beziehung zwischen Cole und Zeke aus, als tausend Worte sagen könnten. Ich hätte gerne mehr davon gesehen.

Wo Licht ist, ist aber auch Schatten. Nicht nur die gut-böse Thematik des Spiels sagt uns das, sondern auch diverse mühsame kleine Wermutstropfen im sonst so leckeren inFAMOUS2 Cocktail. Die Steuerung ist gelinde gesagt durchzogen. Auf der einen Seite haben wir hier eine Unmenge von Waffen und Fähigkeiten die die Leute von Sucker Punch erfolgreich auf die beschränkten Möglichkeiten des Gamepads verteilen konnten. Sie haben es geschafft, dass der Spieler bei der ganzen Komplexität und Mehrfachbelegung der Tasten, doch den Überblick behalten kann. Auf der anderen Seite aber haben wir da die miserable Sprungkontrolle die es einem meistens verunmöglicht, den Sprung genau dort hin zu bringen, wo man ihn hin haben will. An vielen Hauswänden gibt es Kabel die wie ein Turbolift auf das Dach genutzt werden können und so ähnlich funktionieren wie die Flaschenzüge in Assassin’s Creed Brotherhood. Am besten hätte Sucker Punch auch gleich die Mechanik von Brotherhood kopieren sollen, dort kann man nur hinein laufen und wird automatisch nach oben befördert. Bei inFAMOUS2 hingegen muss man auf das Kabel springen, was nie, aber auch gar nie beim ersten Anlauf funktioniert. Zuerst prallt man immer irgendwie von der Wand ab oder kommt zu weit rechts oder links an und fällt wieder auf den Boden. Meistens klappt es dann beim zweiten oder dritten Versuch, aber so was kann und muss doch echt nicht sein.

Die Gefechtssteuerung klappt hervorragend, solange ich auf Distanz mit Gegnern kämpfe. Die Blitze haben eine nachvollziehbare Reichweite und Flugbahn, Die Granaten landen dort wo sie sollen, die Raketen fliegen schön ins Ziel und auch wenn es mal schnell gehen muss klappt alles wunderbar. Ganz anders im Nahkampf. Da verliert man innert kürzester Zeit den Überblick und es kommt oft vor, dass man mit dem AMP (Nahkampfwaffe) einfach ins Leere haut, weil die Kamera gerade nicht begriffen hat, in welche Richtung sie schauen muss oder der linke Analogstick einen Millimeter zu weit nach links gedrückt wurde. In Kombination mit grösseren Gegnerhorden kann das schon mal fatale Folgen haben und man wird schneller ins virtuelle Jenseits befördert als einem lieb ist.

Ein kleines aber dennoch nicht unwichtiges Manko taucht ab und zu auf, wenn man nach einem Sprung oder nach einer Attacke eines Feindes plötzlich in einem Kamin, Pfeiler oder in einem Eisturm stecken bleibt. Da wieder rauszukommen ist zwar nicht schwer, da man einfach einmal hochspringen muss. Aber auch hier gilt, in Kombination mit vielen Gegnern ist das schnell absolut tödlich. Wenn die Gegner in grosser Überzahl sind und es sich nicht gerade um die grössten Weicheier des Spiels handelt, dann sind diese Bruchteile eine Sekunde, in denen man flüchten will und erst zu spät merkt, dass man wiedermal festhängt, oft entscheidend.

Die End- und Zwischengegner des Spiels sind alle eher aus der Kategorie „mühsam aber einfach“. Leider tauchen die gleichen Gegner immer wieder auf und es stellt sich schnell ein „nicht schon wieder“ Gefühl ein. Wenn das erste Sumpfmonster noch knackig ist und einem etwas abfordert, dann hat man spätestens beim vierten Zusammentreffen mit diesen nur noch ein müdes Lächeln dafür übrig und regt sich eigentlich nur noch auf, dass der Gegner nicht schneller bezwungen werden kann, weil er immer beim ersten Treffer flüchtet und so den Kampf unnötig in die Länge zieht. Das alles ginge ja noch, aber den schwierigsten Kampf hatte ich etwa nach 2/3 des Spiels gegen einen Eistitanen. Der Endkampf gegen die grosse Bestie und auch die cool inszenierten Kämpfe gegen die anderen grossen Zwischengegner sind verglichen mit dem Eistitanen etwas für Vorschulkinder. In diesen doch so wichtigen Kämpfen geht es eigentlich nur darum, dem Gegner alles entgegenzuwerfen was man hat, was leider in sinnlosem button bashing mündet und keine Herausforderung mehr darstellt. Schade.

Eine wirkliche Wahl für die gute oder die böse Seite hat man im Verlauf des Spiels nicht. Wenn man sich am Anfang für die eine oder andere Seite entschieden hat, muss man diese Entscheidung durch das ganze Spiel ziehen. Falls man mal so und mal anders entscheidet, kommt man nicht in den Genuss der Vorteile der beiden Seiten. Diese Vorteile sind spezielle Waffen und Fähigkeiten, die erst ab einer gewissen Stufe Gutmensch oder Bösewicht freigeschalten werden. Am Ende des Spiels, kurz vor dem Endkampf, wird man dann gezwungen sich für die eine oder andere Seite zu entscheiden. In den Endkampf kann man nur gehen, wenn man Cole voll zum Gutmenschen oder total zum Bösewicht „geformt“ hat. Hat man dies bis dahin verpasst, so muss man nun mühsam seinen Charakter grinden, um das eine oder andere Ziel zu erreichen. Die Wahlmöglichkeiten beschränken sich also eigentlich auf die allererste Mission, in der man sich für die gute oder die böse Seite entscheiden muss. Danach hat man nur noch Nachteile wenn man diese Entscheidung verändert.

inFAMOUS2 ist alles in allem ein gutes Spiel geworden. Es macht Spaß, New Marais zu erkunden, die unterschiedlichen Stadtteile und Aufgaben bringen viel Abwechslung in das Spiel und langweilig wird es fast nie. Die beschriebenen Wermutstropfen sind nicht so entscheidend für das Spielgefühl an und für sich und stören trotzdem. Die großen Schwächen des Vorgängers wurden alle bedeutend verbessert oder gleich ganz gestrichen. Im ganzen Spiel findet sich zum Beispiel keine einzige Untergrund-Mission mehr, alles findet über der Erde statt. Ob man sich das Spiel kaufen soll, hängt stark davon ab, was man davon erwartet. Gelegenheitsspieler die keine hohen Schwierigkeitsgrade mögen und Leute die gerne storylastige Spiele haben, können nach meiner Meinung ungeniert zugreifen. Ob ich mir für dieses – Sony exklusive – Spiel eine PS3 neu kaufen würde? Nö, ich glaube nicht. Dafür bietet es einfach zu wenig Neues und Innovatives.

Wie sinnvoll oder sinnlos die gut-böse Entscheidungen sind, ist wahrscheinlich Geschmackssache und kommt sehr darauf an, ob man als Spieler gerne eine wirkliche Wahl hat oder sich damit abfindet, dass die Wahlmöglichkeiten nur vorgespielt werden. Mich persönlich hat dieser Umstand nicht sehr gestört, da ich mich von der ersten Mission an für die gute Seite entschieden habe. Wie fest sich die unterschiedlichen Storylines je nach Entscheidung unterscheiden, kann ich nicht beurteilen, da ich das Spiel nur auf Gut durchgespielt habe.

Wie Anfangs schon erwähnt fühlt sich das Ganze etwas an wie Assassin’s Creed auf Speed. Dies vor allem, weil man sich regelrecht in einen Allmachtsrausch spielen kann. Man fliegt von Dach zu Dach und ist niemandem Rechenschaft schuldig. Die Guten oder die Bösen werden gnadenlos mit einem riesigen Arsenal an Waffen niedergestreckt.

Man ist der König der Welt, aber eben doch kein cooler Assassine.

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